Ich sehe die Sonne schwach und golden durch die Eierschale scheinen. Ich fühle mich geborgen hier drin und von der Welt geschützt. Ich weiß nicht wie lange ich in dieser Hülle war in der ich langsam wuchs. Mit einem Mal wird es mir zu eng in meinem Schalenhaus. Etwas in mir fühlt einen Drang die Wand um mich niederzureißen. Ich bewege mich, stoße nach rechts, nach links und höre ein Knacksen. Mein Hals versucht sich zu strecken. Er fühlt sich so schwach an, ich lasse ihn wieder fallen und kuschele mich in die sanfte Feuchtigkeit die mich umgibt. Ich bin erschöpft und ruhe mich ein wenig aus.
Auf jeder Seite vorne und hinten habe ich so etwas wie ein kleines Ruder statt Arme und Beine wie du, mein Menschlein. Diese bewege ich. Es knackst hier und da um mich herum. Mein Kopf stößt nach vor.“ Ein wenig Licht kommt durch die Schale und blendet mich. Eine magische Kraft zieht mich zu diesem, golden Schein. Ich fühle mich stärker und stoße mit meiner Nase oder Gesicht nach vorne. Schalenteile fallen in alle Richtungen. Mit meinen Vordergliedern mache ich Bewegungen als würde ich schwimmen. Es ist etwas kühler außerhalb meiner Eierschale aber es fühlt ich gut an. Ich krieche auf feinem Sand.
Ganz langsam rudere ich mich vorwärts. Eine leichte Brise streicht mir über die Augen. Ich rieche Salz und Seetang. Dieselbe Kraft die mich antrieb meine Schalenbehausung zu sprengen drängt mich nun in eine bestimmte Richtung vorwärts. Ich gehe ein wenig steif und noch etwas unbeholfen aber die Bewegung meiner „Ruder“ wird bald schneller.
Ein Büschel Grass ist mir im Weg. Die steifen Gräser sind eng aneinandergewachsen. Ich kann nicht durch sie hindurchkriechen. Ich kann sie auch nicht niederdrücken um über sie hinwegzulaufen. So finde ich meinen Weg zwischen den einzelnen Büscheln in die Richtung die mir in meinen Gefühlen vorgezeichnet ist.
Ich erklettere eine Sanddüne und rutsche auf seiner anderen Seite wieder runter. Hier liegt Gehölz und alles Mögliche. Ich lerne später, das dies Gerümpel von Wasserwellen angeschwemmt wurde.
Ein grauer Krebs eilt an mir vorbei. „Wohin gehst du?“ fragt er mich. „Ich weiß nicht wohin. Ich weiß nur, dass ich schnell dort hinkommen muss,“ antworte ich. „Wie heißt du?“ will er wissen. „Ich bin ich“. „Hattest du keine Eltern die dir einen Namen gaben?“ Nein, ich habe nur Brüder und Schwestern aber die gehen ihren eigenen Weg.“ „Für mich ist es auch so“ sagt er, mustert mich und erklärt: „Die Menschen nennen dich Wasserschildkröte und deshalb bist du auf dem Weg zum Meer.“ „Warum gehst du seitwärts“ frage ich ihn. „Warum gehst du vorwärts, fragt er zurück“. „So sind wir eben verschieden“, sagen wir beide gleichzeitig.
Ich fühle die Sonne warm auf dem Schild, das meinen Rücken bedeckt. Mein neuer Freund sagt: „Denke nicht, das dein Schild dich vor den großen Vögeln schützt. Es ist noch nicht hart genug um ihnen den Schnabel zu zertrümmern und du bist noch klein. Ein großer Vogel kann dich leicht fressen. Du kannst dich nicht, wie ich, im Sand einbuddeln. Geh jetzt besser schnell, das du zum Wasser kommst. Wenn du im Meer schwimmst bist du etwas sicherer.“
Ich sehe noch wie viele Krebse an mir vorbeieilen und mein Freund sich ihnen anschließt. Der Sand ist jetzt feucht und eben. Hier wächst kein Grass. und ich brauche nicht mehr Strandgut und Abfall zu umgehen. Es fühlt sich kühl unter mir an. Ich eile so schnell ich kann. Schreie von Vögeln erfüllen die Luft. Flügelschläge sind jetzt über mir. Meine Flossen fühlen sich sehr schwach an. Ich will nicht nach oben schauen. Nur vorwärts sage ich mir, schnell, schnell, während ich langsamer werde. Mit einem Mal rollt eine kleine Welle auf mich zu. Sie wäscht den Sand unter mir weg, hebt mich leicht an und wirft mich in tieferes Wasser. Im selben Moment schießt ein großer Vogel vom Himmel. Er ist eine Sekunde zu spät.
„Liebe Welle“ sage ich zu ihr,“ du hast mir das Leben gerettet.“ „Ich wünsche dir eine schöne Zeit im Meer und das du groß wirst und ein starkes Schild bekommst,“ ruft sie zurück.
Das Wasser um mich herum streichelt mich wie Liebkosungen. Ich fühle mich schwerelos. Ab und zu bewege ich meine Flossen und gleite langsam durch das Wasser.
Ich knabbere an zartem Grün, das sich hier und da unter mir mit den Wellen wiegt. Ich finde mal eine Garnele zum Essen oder einen Wurm im sandigen Meeresgrund. Später aß ich gelegentlich einen kleinen Fisch. So wuchs und nach einiger Zeit war ich so groß wie die Wasserschildkröten um mich herum. Eines Tages wurde mir bewusst, dass mein Schild hart geworden war. Kam Gefahr in Form eines großen Vogels oder anderer mir unbekannter Kreaturen auf mich zu, so zog ich schnell den Kopf in das mein Gehäuse und unter mein Schild.
Mein kleines Menschlein, ich weiß, dass du mich als einfache Wasserschildkröte siehst. Doch ich habe große Weisheit und so will ich dir zeigen wie du dich schützen kannst, ohne eine harte Schutzmauer um dich herum hochzuziehen. Ein Panzer wie meiner würde dir wenig helfen, denn ich weiß, das deine Gefühle leicht verletzbar sind. Du bist viel ungeschützter als ich, das Schildkrötenbaby war, denn ich habe keine Emotionen wie du. Oft, wünscht du dir, dass du einen sicheren Platz hättest in den du dich zurückziehen kannst und der ein Versteck ist, in dem deine Gefühle Ruhe finden können.
Ich verspreche dir das du lernen kannst, dich in so einen Ort zurückzuziehen, denn er ist in dir.
Schließe deine Augen, stelle dir vor, dass du eine goldene Schutzhülle, wie eine seidene Decke, um dich hast. Keine verletzlichen Worte können sie durchdringen. Negative Bilder bleiben draußen und unangenehme Geschehen werden von ihr abgestoßen. Fühlst du dich ängstlich so nimmt dir dieser goldene Mantel die Angst. Bist du ärgerlich so stelle dir vor, dass diese Lichthülle alles Schmerzliche zu Liebe umwandelt. Du glaubst nicht, das es hilft, dir so einen Schutzmantel vorzustellen. Mit der Zeit jedoch wirst du erkennen, dass du tatsächlich Schutz und Liebe in dieser Golden Umhüllung findest.
.