Sonnenstrahl

Sonnenstrahl

 

Nenne mich Sonnenstrahl. Du kannst mich als gelben Strahl sehen, der vom Himmel kommt und dich wärmt. Ich färbe die Welt um dich herum golden. Ich möchte mit dir ein wenig Zeit verbringen und dir etwas zeigen.

Hast du schon mal unter Wasser die Augen aufgemacht? Du brauchst keine Angst zu haben, es tut nicht weh. Am Besten wäre es in einem See oder Teich an einem sonnigen Tag. Du kannst es auch im Schwimmbad machen, aber es könnte sein, dass da deine Augen vom Chlor ein wenig rot werden. Wenn du nicht schwimmen kannst, bleibe wo es flach ist. Tauche unter und drehe dich auf den Rücken oder sitze so, das du nach oben schauen kannst. Ich, der Sonnenstrahl scheint durchs Wasser direkt zu dir. Ich erscheine ein wenig milchig. Viele Lichtpunkte tanzen durch das Wasser da, wo ich es beleuchte. Sie tummeln sich in meinem goldenen Licht vor dir und hinauf so weit du sehen kannst. Unter der Oberfläche des Wassers bewegen sich in Hüpfern silbern glitzernden Streifen. Diese entstehen, wenn die Sonne sich auf den ganz kleinen Wellen an der Oberfläche spiegelt. Beobachte das Spiel im Sonnenstrahl so lange wie du den Atem anhalten kannst. Plötzlich fühlst du dich voller Freude und must lachen. Aber warte mit deinem Freudeausbruch bis du wieder Luft holen kannst. Ich habe dieses Lichterspiel für dich gemacht.

 

Eines abends, wenn du im Bett liegst schließe deine Augen. Stelle dir vor, dass ich dich auf einen kleinen Spaziergang nehme. Es ist ein warmer Sommertag. Wir gehen über eine weite Wiese mit tiefem Grass. Ich gleite als goldener Streifen vor dir her und zeige dir den Weg. Wir kommen an einen Bach. Du kannst kaum etwas von seinem Wasser sehen, weil Sumpfdotterblumen an seinem Ufer wachsen. Vielleicht hast du diese Blumen noch nie gesehen, weil man sie nicht im Blumengeschäft findet. Sie wachsen wild in Wiesen und wo viel Wasser ist. Du erkennst sie an ihren saftigen gelben Blüten.

Ein paar Planken sind über den Bach gelegt. Wir gehen vorsichtig darüber, weil es kein Geländer gibt. Von der Mitte der kleinen Brücke kannst du das Wasser unter dir fließen sehen. Es ist so klar, dass du die runden Steine sehen kannst, über die kleine Wellen hüpfen.

Nun wird es etwas dunkler um uns herum, weil wir in eine Baumgruppe treten. Der Sonne fällt es schwer, durch ihre vielen Äste zu scheinen. Du kannst mich aber immer noch sehen. Ich strahle matt vor dir her. Folge mir einfach. Siehst du die kleine Lichtung vor uns? Es ist sehr still hier. Deine Schritte sind gedämpft, da der Boden mit alten Blättern gepolstert ist. Nun treten wir vorsichtig an den Rand eines runden Teiches. Er ist nicht groß, du kannst das andere Ufer sehen. Das Wasser ist sehr tief und deshalb ist es so dunkelgrün, das es fast schwarz erscheint.

Erwachsene die diesen Teich kennen sagen, dass es mehr ein tiefes Wasserloch ist, dass von einer Quelle gefüllt wird. Sie sagen auch das man darin nicht schwimmen darf, weil es einen Wirbel hat, der dich in die Tiefe zieht, wenn du an die Stelle gerätst wo das Wasser sich im Kreise dreht.

Nun halte deine Augen geschlossen. Fürchte dich nicht, du liegst sicher in deinem Bett. Ich zeige dir etwas, dass du mit deinem inneren Auge sehen kannst. Wir gehen auf den Teich zu. Du machst einen kleinen Schritt vom Ufer weg und sinkst ins Wasser. Es ist wohlig warm. Ich trage dich auf meinem goldenen Band. Nun kommen wir an den Kreisel den der Wirbel dreht. Fühlst du wie das Wasser um dich herumspülst? Dein Röckchen oder deine Hose legt sich ganz eng an dich.

Strecke deine Arme über deinen Kopf. Der Wasserwirbel dreht dich leicht um dich selbst. Nun stelle dir vor wie er dich nach unten zieht. Du hast keinen Mangel an Luft, weil wir all dieses nur in deiner Vorstellung tun. Mit deinem inneren Auge, mit dem du siehst, wenn deine Augen geschlossen sind, kannst du alles um dich herum beobachten. Du siehst mal helles und mal dunkel grünes Licht, das wie ein Band um dich kreist. Manchmal sprudeln viele kleine Blasen

hoch. Helle Punkte schwimmen an dir vorbei, die wie Muscheln aussehen aber aus Wasser sind. Die Kreise sind noch fast einen Meter von dir weg, doch sie kommen näher. Der Wirbel um dich zieht sich immer enger. Dir wird nicht schwindlig, da du ja sicher auf deinem Bett liegst und dir all dieses nur vorstellst. Da gleitest du nun, mit den Füßen nach unten und die Arme nach oben gesteckt. Du wirst immer schneller gedreht und gezogen.

Die Natur eines Wirbels ist, dass er immer engere Kreise zieht und immer stärker saugt. Wir beide lassen uns durch ihn nun bis ganz nach unten ziehen. Plötzlich ist er nur noch ein kleiner Punkt, deine Füße berühren den Boden. Du kannst seitlich aus ihm heraustauchen und ganz leicht an die Oberfläche des Teiches schwimmen.

Siehst du, weil du nicht versucht hast gehen den Strudel anzuschwimmen und keinen Wiederstand geleistet hast, bist du frei.

Ich habe mit dir dieses kleine Taucherlebnis gemacht, um dir zu zeigen, das dein Leben manchmal wie dieser Wasserstrudel ist. Es zieht dich mit aller Gewalt in eine Richtung in die du nicht gehen wolltest. Ich will dir zeigen, das du dein Leben leichter machen kannst, wenn du nicht dagegen ankämpfst, wenn etwas anders geht als du es wolltest.

Ich weiß, dass es manchmal in deinem Leben nicht so schön ist. Du wolltest gerade nach draußen laufen, aber es regnet. Du wolltest spielen, aber du must Hausarbeiten machen. Du hast vielleicht eine Erkältung und kannst deshalb nicht zu deinen Freunden gehen. Du würdest gerne ein ganz besonderes Geschenk haben, das du dir schon immer gewünscht hast. Aber du bekommst es nicht.

Ich verstehe, dass manche Tage nicht leicht sind.  Enttäuschung, Frustration und Herzensweh überwältigt dich.

So gehst du gegen das an, was anders ist als du es willst. Dies ist ermüdend und fühlt sich an als wärest du in dem Wasserstrudel. Du schwimmst gegen den Strom und kannst nicht erreichen was du willst.

Wenn du Dinge mit deinem ganzen Willen willst und dann laufen sie anders, kannst du nicht genießen, was du schon hast. Hoffnungen auf etwas in der Zukunft geben dir Enttäuschungen, wenn sie nicht erfüllt werden. Es ist schön und auch gut Hoffnungen und Träume zu haben, aber genieße was das Leben dir gibt und wo es dich im Moment hinzieht. Tust du das, so wirst du nicht enttäuscht sein, wenn sie anders kommen als du hofftest. Schaffst du es, dich so leiten zu lassen, wird alles leichter und du hast weniger Herzensschmerzen.

Liebes Menschenkind, lass dich ein wenig treiben und vertraue, das deine Gefühle dich mit der Zeit nicht mehr in Frustration, Ärger und Traurigkeit gefangen halten. Dies zu tun, geschieht nicht über Nacht. Du must ein viel üben. Aber, ich verspreche, das du eines Tages von diesem Gefühlsgefängnis befreit sein wirst.

 

So wenn du eine große Enttäuschung hast, schließe für einen kurzen Moment die Augen und stelle dir vor, dass du im Wasserwirbel bist und lässt geschehen was geschieht. Vertraue das etwas in dein Leben kommt, das besser für dich ist. Denkst du etwas muss so gehen oder so verlaufen oder so enden, schließe kurz wieder die Augen, stelle dir vor du bist ganz oben im Wirbel und gegen ihn anzuschwimmen ist zu schwer. Also denke nicht, vertraue, dass da etwas ist, das weiß, was besser für dich ist. Es wird sich zeigen was passender für dich ist, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist.

Nun eine ganz wichtige Sache, die ich noch einmal betonen muss. Probiere nie, in einen wirklichen Wasserwirbel zu steigen!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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